Infolge der aktuellen Kriegsereignisse kommt es zu einer Unterbrechung der Lieferketten und zu Lieferengpässen. Entscheidet in dieser Situation ein Betrieb, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz an bestimmten Tagen nicht aufsuchen kann, führt dies zu Fehlzeiten. Bucht der Arbeitgeber die so entstandenen Abwesenheitsstunden als "Minusstunden", stellt sich die Frage, welche Rechte sich für die betroffenen Arbeitnehmer ergeben.
1. Im Kern geht es um Arbeitszeitkonten: erbringt der Arbeitnehmer mehr Arbeitsleistung als die betriebsübliche Arbeitszeit, erlangt er ein Zeitguthaben; erbringt er weniger, entstehen Zeitverluste auf dem Arbeitszeitkonto. Mit einem Arbeitszeitkonto wird das monatliche Entgelt verstetigt. Arbeitszeitschwankungen führen nicht zu einem schwankenden Arbeitseinkommen. Damit drückt das Arbeitszeitkonto „nur in anderer Form den Vergütungsanspruch aus.“[1]
2. Fraglich ist jedoch, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber das Arbeitszeitkonto mit Minusstunden belasten darf.
a. Grundsätzlich ergibt sich der Anspruch auf die korrekte Führung des Arbeitszeitkontos aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Handelt es sich um einen Betrieb, in dem ein Betriebsrat installiert ist, sind Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats zu prüfen. Zusätzlich können Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden bestehen, die Vereinbarungen zum Zeitkonto enthalten.
b. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit im Wege des Vorschusses schon vergütet erhalten hat. Sein Arbeitsverhältnis wurde schließlich wie im Arbeitsvertrag vereinbart abgerechnet, ohne dass der Arbeitnehmer in dieser Zeit auch tatsächlich gearbeitet hat.
c. Eine andere Betrachtung ergibt sich, wenn das Risiko der Einsatzmöglichkeit oder des Arbeitsausfalls allein in der Sphäre des Arbeitgebers liegt. Immer dann, wenn der Arbeitgeber keine Arbeit hat, z. B. weil die Lieferketten unterbrochen sind, entscheidet eben nicht der Arbeitnehmer darüber, ob eine Zeitschuld entsteht. Bietet der Arbeitgeber keinen Arbeitsplatz, fällt er in Verzug und hat das Risiko zu tragen und die (nicht abgerufene) Arbeitsleistung zu vergüten. Das Direktionsrecht berechtigt den Arbeitgeber nicht per se, die Arbeitszeit frei zu bestimmen. Zwar kann der Arbeitgeber Weisungen treffen, die die Lage der Arbeitszeit einseitig festlegen. Dagegen gehört der Umfang der Arbeitszeit zum Kernbestand des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses und wird vom Weisungsrecht des Arbeitgebers kraft einseitiger Anordnung nicht umfasst.
d. Allerdings können die Parteien des Arbeitsvertrags anderweitige Regelungen zum Umgang mit Minusstunden festlegen, z. B. in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Eine formlose Regelungsabrede kann dagegen keine unmittelbar und zwingend geltenden Rechte und Pflichten für die Arbeitnehmer begründen.
Damit bleibt festzuhalten:
Kann der mit einer verstetigten Vergütung entlohnte Arbeitnehmer nicht alleine darüber entscheiden, ob eine Zeitschuld entsteht, ist die Belastung des Arbeitszeitkontos mit Minusstunden in aller Regel unberechtigt. Ausnahmen gelten bei abweichenden tariflichen Vereinbarungen oder klaren Betriebsvereinbarungen.
[1] Vgl. BAG vom 26.01.2011, AP BGB § 611, Arbeitszeit Nr. 36.